Von Annick Meys
8.06.2022 um 20:34 Uhr
Sechs der talentiertesten Nachwuchstüftler des Landes kommen aus Eupen: Die Schüler des fünften Jahres der Abteilung Informatik/Elektronik am Robert-Schuman-Institut (RSI) machen der belgischen Eisenbahngesellschaft SNCB vor, wie man Fahrräder sicher und platzsparend im Zug verstaut.
Der Prototyp aus dem 3D-Drucker sieht aus wie eine zu groß geratene, etwas krumme Zuckerstange. „Das war unser allererster Entwurf“, lacht Marvin Schumacher. In der anderen Hand hält der Schüler das ausgereifte Ergebnis monatelangen Tüftelns: ein spezieller Haken für die Gepäckablage im Zug, mit dessen Hilfe sich Fahrräder hochkant „parken“ lassen – ebenfalls aus dem 3D-Drucker.
„Der Haken kommt an die Gepäckstange und das Vorderrad wird einfach eingehängt. Durch das Gewicht des Fahrrads sitzt der Haken fest. Der Hinterreifen sollte auf dem Boden aufliegen, damit das Fahrrad nicht unkontrolliert herumbaumelt“, erklärt der 17-jährige Philip Schmetz das Prinzip.
Bodenschiene verspricht sicheren Halt
Von der Idee bis zum alltagstauglichen Fahrradbügel aus PLA, einer nachhaltigen Plastikalternative auf Basis von Maisstärke, war es ein weiter Weg: „Wir mussten mehrere Male Maß nehmen, sowohl am Fahrrad selbst (Rahmengröße, Breite und Größe der Reifen,…), als auch im Zug (Höhe des Gepäckträgers, Stärke der Stangen,…)“, erinnert sich Marvin Schumacher. Herausgekommen sind am Ende verschiedene Modelle, darunter auch eines für Kinderfahrräder sowie ein Kombihaken, an dem sich zwei Fahrräder gleichzeitig aufhängen lassen. Aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche je Fahrradmodell schwebt den Schülern vor, dass Fahrradpendler ihren eigenen Haken immer dabeihaben. Dementsprechend soll auch die Druckvorlage frei verfügbar sein.
Für zusätzliche Stabilität während der Zugfahrt sorgen fest montierte Bodenschienen, die die Schüler ebenfalls entwickelt haben und die von der Abteilung für Metallbauer am RSI gefertigt wurden. „Sie verlaufen in Fahrtrichtung, sodass die abgestellten Fahrräder den Gang nicht versperren“, hebt William Falkenberg, der an der Entwicklung mitgewirkt hat, hervor.
Von 14 auf 30 Fahrradstellplätze
Im Rahmen des nationalen Schülerwettbewerbs der Belgischen Eisenbahngesellschaft SNCB („Belgian Railways Competition for Technicans“, kurz „Bert“) haben sich Philip Schmetz (17), Luc Ahn (16), Safia Lakhale (15), Marvin Schumacher (17), Islam Demir (19) und William Falkenberg (17), allesamt Schüler am Robert-Schuman-Institut (RSI) in Eupen, gemeinsam mit ihrem Lehrer Etienne Simar mit der Frage beschäftigt, wie sich Fahrräder im Zug sicherer und platzsparender abstellen lassen und mit ihrem Konzept den ersten Platz belegt.
Platzsparend ist die Haken-Lösung allemal: Derzeit bietet ein Fahrradabteil in Zügen der SNCB Platz für 14 Räder, die lediglich mit einem herkömmlichen Anschnallgurt mehr oder weniger gesichert werden. Mit Hilfe der Haken ließen sich auf der gleichen Fläche bis zu 30 Fahrräder hochkant abstellen. Zumindest theoretisch, denn nicht immer geht es platzsparend: Wer beispielsweise ein Tandem fährt oder nicht genug Kraft in den Armen hat, um sein E-Bike in die Senkrechte zu hieven, kann auch ausschließlich die Bodenschienen nutzen, die so konzipiert sind, dass sie sowohl schmalen Rennreifen als auch breiten Mountainbike-Reifen sicheren Halt bieten.
Schüler sehen Verbessungspotenzial
Grundsätzlich haben die Schüler nichts dem Zufall überlassen und ihre Ideen vorab mit mehreren Interessengruppen besprochen. „Wir wollten wissen, ob das, was wir vorhaben, auch sinnvoll ist und ob unsere Ideen mit den Bedürfnissen von Fahrradfahrern oder Menschen mit einer Beeinträchtigung vereinbar sind. Damit die Bodenschienen nicht zur Stolperfalle oder zum Hindernis werden, haben wir sie noch ein wenig angepasst und weiter optimiert“, erklärt William Falkenberg.
Im Praxistest haben die Schüler ihr Konzept abschließend auf Herz und Nieren geprüft und dabei, zumindest aus Sicht von Fahrradpendlern, so manche Schwachstelle im Zugverkehr aufgespürt. Die erste Hürde ergibt sich bereits am Bahnsteig: „Die Tür mit dem niedrigen Einstieg für Fahrrad- und Rollstuhlfahrer wird nur auf Anfrage geöffnet, meist ist aber gar kein Zugbegleiter in der Nähe, also muss man sein Fahrrad am nächsten Waggon den normalen Einstieg hinaufwuchten, und es umständlich durch das enge Zugabteil bugsieren“, kritisiert Philip Schmetz. Zudem sind Fahrradabteile nach Ansicht der Schüler schlecht gekennzeichnet. „Da gibt es großes Verbesserungspotenzial“, ist Islam Demir überzeugt.
Auch in Sachen fehlende Diebstahlsicherung schaffen die Eupener Schüler Abhilfe: „Dazu haben wir das Schloss eines Einkaufswagens mit einem Motor gekoppelt. Über eine Kommandozentrale mit Touchscreen, die über Bluetooth mit dem Motor verbunden ist, kann man das Schloss sperren und auch wieder entriegeln, nachdem man sich als Besitzer eines Fahrrads identifiziert hat“, erklärt Safia Lakhale, die das Bedienungsfeld auf alle drei Landessprachen programmiert hat. Zur Identifizierung könnte beispielsweise das Zugticket dienen.
Auch eine App, die Fahrradfahrern anzeigt, wie viele freie Stellplätze auf einer bestimmten Verbindung noch verfügbar sind, war ursprünglich angedacht. „Diese Idee haben wir aber wieder verworfen, weil sie den Rahmen gesprengt hätte. Stattdessen haben wir uns auf das Wesentliche konzentriert: die Haken, die Bodenschiene und die Diebstahlsicherung“, erklärt Islam Demir.
Von den anderen Teilnehmern des Wettbewerbs seien die Eupener Schüler für ihre Ideen anfangs belächelt worden, erzählt Marvin Schumacher: „Während die Konkurrenz komplexe vollautomatische Lösungen entwickelt hat, ist unser Vorschlag sehr einfach, aber umso effizienter und lässt sich ohne großen Aufwand auf alle Züge übertragen.“ William Falkenberg pflichtet seinem Mitschüler bei: „Man muss nicht den halben Waggon umbauen, wie es bei anderen Konzepten erforderlich gewesen wäre und die Klappsitze bleiben, entsprechend der Vorgaben der SNCB, auch erhalten.“
Die Jury konnten die Eupener Schüler mit ihrem Ansatz jedenfalls überzeugen und sich damit im Finale gegen sieben Konkurrenten durchsetzen. Mit der Siegerprämie (5.000 Euro) soll ein neuer, größerer 3D-Drucker angeschafft werden. Für die Schüler springen zudem Reisegutscheine heraus.
Auch Lehrer Etienne Simar weiß die Leistung seiner Schüler zu würdigen: „Besser hätten sie ihr Konzept nicht vor der Jury verteidigen und auf den Punkt bringen können – dazu noch in französischer und niederländischer Sprache. Darauf haben sie sich intensiv während ihrer Freizeit vorbereitet“, lobt er den Einsatz der Jugendlichen.
Ob die Fahrradbügel, die Bodenschienen und das Diebstahlsystem „made in Eupen“ tatsächlich zum Einsatz kommen, entscheidet die SNCB. Stolz sind die Schüler allemal.